In guter Tradition impressionistischer Freilichtmalerei steht sie beim Arbeiten in der Landschaft, vor dem Motiv, und besucht auch die Blumen dort, wo sie wachsen. Sie bevorzugt den erhöhten Standpunkt des Schöpferblicks und versteht es, Eindrücke von Bergen und Bäumen, Blüten und Blumen, Wind und Wetter mit spontaner, großzügiger Pinselführung in üppige Aquarellmalerei umzusetzen. Dabei geht es nicht um topographische Genauigkeit und nicht um bildhaftes Protokollieren der Vegetation, das überlässt die Malerin gerne den Fotografen und der Biologie. Wenn sich Formen auf räumlich verschiedenen Ebenen berühren und zusammenfließen, Volumen zur Fläche wird und zwischen den Motiven unbemalte Zwickel leuchten, dann ist das kein illusionistisches Abbilden, sondern das Neubilden von Natur als Bild.
Die Farben bleiben dabei naturverbunden, lösen sich nicht, stiltypisch für expressionistisches Malen, von ihrer gegenstandsbezogenen Bedeutung. Im Umgang mit den Bildmotiven nimmt Margarete Stingl-Locher ihren subjektiven Ausdruckswillen fast ganz zurück, zwingt der Natur auf keinen Fall den eigenen Willen auf. Sie bleibt bildnerisches Medium, interpretiert nur, was sie sieht, mit Respekt zwar, aber selbstbewusst und ohne süßliche Lieblichkeit, und bewegt sich dabei gekonnt auf dem schmalen Grat zwischen naturalistischer Gegenständlichkeit und Abstraktion.
Ernst Schneider, Maler